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220 Tage Regierung und immer noch Social-Media-Wahlkampf?

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Anonyme Facebookseiten und Dirty-Campaigning-Affären. Stetiges Ringen um die höchsten Fanzahlen zwischen Blau und dem neu gegründeten Türkis, im In- aber auch Ausland. Zumeist aufwändig produzierte Videos, für die es Wut- und Love-Reactions regnete. Der Wahlkampf rund um die Nationalratswahlen 2017 liegt Monate zurück, seit 18. Dezember 2017 gibt es eine neue Regierung. Doch was bleibt vom Rennen um die Stimmen auf Facebook und Co.? Was hat sich durch die Maßnahmen zur besseren Transparenz von Social-Media-Ads geändert?

Knapp ein Monat vor den Sommergesprächen starten wir unsere Reihe der SPiNNWERK-Sommer-Analysen. Zu Beginn fassen wir zusammen, wie es um die Regierungsparteien in den sozialen Netzwerken steht und stellen uns Fragen wie „Was bleibt vom Social-Media-Wahlkampf“ und „Was wurde aus Christian Kern?“.

SPiNNWERK Sommer-Analysen: 220 Tage Regierung Kurz! Was bleibt vom Social-Media-Wahlkampf

Bereits mit unseren Analysen im letzten US-Wahlkampf und zu beiden Durchgängen der österreichischen Bundespräsidentschaftswahl hat sich gezeigt: Wer auf Social-Media-Arbeit setzte, re- und interagierte, aber vor allem in den einzelnen Kanälen mobilisieren konnte, schnitt auch bei den Wahlen selbst gut ab. Festzuhalten ist, dass sich hier alles um die Facebookseiten der Spitzenkandidaten dreht. Dabei haben unsere Beobachtungen gezeigt, dass sich die Facebookinteraktionen bei direkten Personenwahlen wie beim US-Wahlkampf zwischen Trump und Clinton oder beim letzten BPW-Durchgang zwischen Hofer und Van der Bellen eher auf das tatsächlich Wahlergebnis umlegen lassen, als etwa jene Ergebnisse, auf die wir bei der letzten Analyse zur Nationalratswahl gekommen sind. Ein Grund dafür könnte sein, dass es hier vor allem darum ging, wer zuletzt in seinen Kanälen gut mobilisieren konnte. Ein weiterer interessanter Aspekt ist der Vergleich der Wahlergebnisse mit der allgemeinen Social-Media-Nutzung: in den Großstädten, wo Facebook und Co. stärker verbreitet sind, es folglich auch zu einer größeren Zahl an Interaktionen kommt, haben ÖVP und FPÖ nicht die besten Ergebnisse erzielt.

Ein halbes Jahr später scheint man allmählich zur Tagesordnung zurückgekehrt zu sein. Dabei böte es sich an, vor allem in Zeiten außerhalb des Wahlkampfs in gute Social-Media-Arbeit zu investieren und so geschickt Themen zu besetzen, die die Userinnen und User in den sozialen Netzwerken bewegen – und das gilt vor allem für die Opposition oder jene Parteien, die es dieses Mal nicht ins Parlament geschafft haben.

Was tut sich bei Kurz und Co. in den sozialen Netzwerken?

Zur Erinnerung, was unsere Erkenntnis aus dem Social-Media-Wahlkampf zur Nationalratswahl 2017 war:

  • Obwohl wir wissen, dass es dabei um eine Social-Media-Kennzahl mit wenig Relevanz geht, ritterten Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz stets darum, wer mehr Facebookfans auf seiner Seite zählen konnte. Unsere detaillierte Auswertung zeigte, dass diese nicht immer nur aus Österreich kamen.
  • Vor allem Christian Kern und HC Strache setzten auf Themen, die sehr starke Wut- und Love-Reaktionen auslösten.
  • Kleinparteien, sowie Neos und Grüne kamen bis zum Schluss nur schwer in die Gänge und matchen sich um 4% des Gesamtvolumens an Interaktionen.

Und was ist seither passiert? Peter Pilz hat es schlussendlich gemeinsam mit seiner Liste ins Parlament geschafft. Mit Matthias Strolz verabschiedet sich ein Social-Media-Liebling von der politischen Bildfläche und die Grünen sorgten seither ein einziges Mal indirekt für Aufmerksamkeit, in dem Eva Glawischnig ausgerechnet beim Glücksspielkonzern Novomatic in der Privatwirtschaft anheuerte.

Abseits davon, gab es eine Reihe an Themen, die für  Social-Media-Storytelling aufgelegt waren: die Debatte um den 12-Stunden-Tag und das Nichtraucherschutz-Gesetz, die geplanten Budget-Kürzungen für Kindergärten und einmal mehr alles, was sich zum Thema Asylpolitik international getan hat. In der Zwischenzeit ist es möglich einzusehen, welche Ads Facebookseiten aktuell ausspielen.

 

So verrät uns der erste Blick, dass nicht nur Strache und Kurz weiterhin, sondern auch die Opposition mit Kern momentan auf simple und weniger nachhaltige Page-Like-Ads zu setzen scheinen. Festzuhalten ist dabei, dass es zur Zeit nur möglich ist, aktuell laufende Ads einzusehen. Dass sich das auch bei uns bald, wie für die USA oder Brasilien angekündigt, ändern könnte, ist zu hoffen. So liefere die Transparenz einer Historie der eingesetzten Ads und die dazugehörigen Budgets einen neuen, bedeutenden Aspekt in der Analyse des gesamten Interaktionsvolumens. Bis dahin halten wir uns an die Informationen, die uns zur Verfügung stehen und sehen uns an, was sich seit dem letzten Wahlkampf auf Facebook getan hat:

 

Für unsere Analyse haben wir  erneut mit Fanpagekarma ausgewertet, wie sich das Interaktionsvolumen seit August 2017 (also seit der Zeit vor dem letzten Wahlkampf) bis Juli 2018 entwickelt hat. Es zeigt sich, dass das Volumen grundsätzliche nach der Wahl abgesunken und seither weitgehend gleich geblieben ist. Auffallend ist jedoch, dass sich die Anteile noch deutlicher weiter in Richtung Türkis-Blau verschoben haben. Sowohl die Neos und die Liste Pilz, als auch die SPÖ verlieren deutlich an Likes, Shares und Kommentaren und es scheint als würden sie, zumindest was das betrifft, ihrer Rolle in der Opposition nicht gerecht. Selbes gilt für die Grünen, die nun nicht mehr im Nationalrat vertreten sind.

Das verrät uns der Digitalreport

Ein ähnliches Ergebnis liefert der Digitalreport, den Journalistin und Digital Champion Ingrid Brodnig dieser Tage gemeinsam mit Luca Hammer, dem Social-Media-Datenspezialist in ihrem Team, präsentiert hat. Der Report zeigt ebenso, dass rund 42% der Interaktionen, die wischen 1. Januar und 1. Juni 2018 gezählt wurden, auf das Konto der FPÖ und HC-Strache zu verbuchen sind und Sebastian Kurz und die ÖVP  auf 32% kommen. Weit abgeschlagen dahinter liegen die SPÖ und Christian Kern mit 19%. Neos und die Liste Pilz schaffen es nicht über 5%-Marke. Die Grünen sind ebenso kaum wahrnehmbar. Eine Verschiebung gibt es auch bei der Auswertung der Reactions. War es bei unserer letzten Analyse vor der Wahl noch Christian Kern, der mit Herzen übersät wurde, ist Wut mittlerweile bei seinen Beiträgen und denen seiner Partei dominant. Selbes gilt übrigens weiterhin für die FPÖ und mittlerweile auch für die Grünen. Die einzige Partei bei denen „Haha“ eine deutliche Rolle spielt, sind die Neos, was vor allem auf ihr Bestreben, möglichst unterhaltsame Inhalte zu posten, zurückzuführen ist.

Darüber hinaus haben sich Brodnig und ihr Team intensiv mit weiteren Analysen zur politischen Debatte auf Facebook beschäftigt. Zusammenfassend kam man einmal mehr zur These, dass eine kleine Gruppe an Usern die politische Debatte auf Facebook dominiert. Das geht aus der Analyse von 768.016 Kommentaren hervor, die zwischen 1. Januar 2017 und 14. Oktober 2017 (also in den Monaten vor der Nationalratswahl 2017) gepostet wurden. 20 % der rund 173.000 Facebooknutzer, die sich zumindest mit einem Kommentar an der politischen Debatte auf dem sozialen Netzwerk beteiligt haben, haben für 73% der Kommentare gesorgt. Laut Brodnigs Team posten die meisten also wenig – und ganz wenige posten viel.

Ebenso liefert der Report etwa Einblick darin, wie sich etwa das Agieren der Parteien auf Facebook in den letzten Jahren entwickelt hat. Vor 2016 etwa, war lange Zeit die FPÖ die einzige Partei, die das soziale Netzwerk politisch dominiert hat. Obendrein gibt es noch eine Auswertung, welche Seiten am liebsten von den jeweiligen Parteien geteilt werden und Factsheets, die visualisieren, über welche Inhalte gepostet wird. Den Report gibt es als kostenlosen PDF-Download unter: www.digitalreport.at

In Anknüpfung an die Ergebnisse des Digitalreports, stellt sich erneut die Frage, ob es lediglich die Kommentare sind, die die politische Debatte auf Facebook mitbestimmen. Mögen es zwar wenige sein, die viel kommentieren oder es zumindest einmal tun, so sind es doch in Summe alle Interaktionen, die den Facebook-Algorithmus beeinflussen und somit auch indirekt zum politischen Diskurs beitragen. Spätestens, wenn wir uns die erfolgreichsten Beiträge im Detail ansehen, darf das nicht außer Acht gelassen werden.

Die Postings seit Oktober 2017: Zwischen Happy Birthday & Islamgesetz

Sehen wir uns etwa das erfolgreichste Posting nach Interaktionen an, das von einer (Ex-)Regierungspartei oder ihrem Spitzenkandidaten veröffentlich wurde, zählen wir nicht nur mehr als 2.500 Kommentare, sondern über 25.000 Likes (plus ein paar 1.000 weitere Reactions) und an die 8.600 Shares. Dabei handelt es sich um ein Video, das auf Sebastian Kurz‘ Seite zur Schließung einer Moschee veröffentlicht wurde. Auch Platz 3 ist ein Beitrag bei Sebastian Kurz, der sich inhaltlich um den Islam dreht. Nur ein geteiltes Bild, das HC Strache mit einem Zitat zu Austro-Türken und Erdogan Ende Juni publizierte erzielte noch mehr Interaktionen.

Gerade bei Beiträgen wie diesen, stellt sich einmal mehr die Frage, wie genau es zu diesen Interaktionsraten kommt und etwa auch, mit welcher Intention geteilt wird. Sowohl Anhänger der jeweiligen Partei und ihrer Inhalte, als auch Facebook-User, die ganz anderer Meinung sind und Beiträge etwa aus Empörung oder um Kritik zu üben teilen, tragen damit gleichermaßen zur Reichweite und infolgedessen natürlich mit ihren Interaktionen zur Wahrnehmung bei.  Die Oppositionsparteien schaffen es mit ihren Beiträgen seit Oktober kaum auf die vorderen Plätze der Top-Postings. Christian Kerns bester Beitrag war direkt nach der Wahl im Oktober zu sehen– die SPÖ selbst schaffte ihr Top-Ergebnis mit den Geburtstagswünschen an den Exkanzler. Zum wohl letzten Mal durften wir den Paradeoppositionellen Matthias Strolz mit dem erfolgreichsten Posting unter dem „pinken Deckmantel“, einer Kritik an Sebastian Kurz im Juni, in Aktion sehen. Von den Grünen als auch von der Liste Pilz ist in dieser Auswertung keine Spur zu sehen.

SPiNNsummary

Es scheint, als hätten es die oppositionellen Parteien im österreichischen Nationalrat besonders schwer, unter der türkis-blauen Regierung auf Facebook vom Fleck zu kommen – und das trotz großer Themen mit Social-Media-Potenzial wie der Debatte um den 12-Stunden-Tag. Soweit bleibt die Frage offen, ob auch die anstehenden Sommergespräche, daran etwas ändern können. Wir sind gespannt!

 

In den nächsten Wochen nehmen wir in den SPiNNWERK-Sommer-Analysen genau unter die Lupe, wie es um die Social-Media-Performance in der österreichischen Politik steht. Nächste Woche geht es um die Frage, wie die Facebook-Seiten österreichischer Medienhäuser, den politischen Diskurs mitbestimmen.


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